Berliner Stadtschloss ohne preußische Seele?!

An diesem sonnigen Dezembertag 2015 sollte mich der Rohbau des Stadtschlosses eigentlich mit Stolz und Genugtuung erfüllen, welches bei voraussichtlicher Eröffnung im September 2019 das Humboldtforum in sich tragen wird.

Immerhin wird von dort aus die Botschaft von Weltoffenheit und Völkerverständigung in alle Welt getragen werden, wie unisono von den Verantwortlichen aus Politik, Schloss-Förderverein, Vorstand Humboldtforum sowie von der Gründungsintendanz zu vernehmen ist.

Aber warum ist meine Freude dann so verhalten? Während ich zur unfertigen Kuppel hinaufschaue, sinne ich darüber nach … und stoße auf einen alten Bekannten aus den Reihen deutschen Selbstverständnisses ...

Mit dem „Palast der Republik“ musste endlich das asbestverseuchte Aushängeschild der zweiten sozialistischen Diktatur auf deutschem Boden weichen, um nicht nur Deutschlands größtem Kulturbauwerk und Europas bedeutsamstem Kulturprojekt unserer Tage Platz zu machen, sondern auch einem historischen Herzstück Berlins und Preußens. Vor 570 Jahren war Grundsteinlegung des Originalschlosses an derselben Stelle. Seither hatte das Stadtschloss die Geschichte Berlins nachhaltig geprägt. An diesem Ort wurde Friedrich der Große geboren und residierten deutsche Kaiser, nahmen wegweisende Entscheidungen zur Zukunft Preußens, der deutschen Einzelstaaten und Europas nicht selten ihren Anfang.

Von jeher war das Berliner Stadtschloss wesentlicher Bestandteil eines städtebaulichen Gesamtkonzeptes. Noch heute sind wichtige Straßenachsen darauf ausgerichtet. Alle Planungen der Berliner Mitte gingen von diesem Standort, diesem Gebäude aus. Die nun wiederhergestellte Harmonie wird mit jeder neuen Etage, jedem neuen Fassadenelement sowie den Fortschritten an der Kuppel deutlicher.

Und in dem Maße, in dem das Antlitz der barocken Außenfassade Gestalt annimmt, wächst die Zustimmung in der Bevölkerung geradezu exponential an. Überhaupt kam die Idee und das Engagement zum Wiederaufbau aus der Bürgerschaft, wie auch private Spenden und Förderer maßgeblich zum Erfolg beitragen. Aufgabe der Politik wäre es, solch bedeutsame Strömungen aufzugreifen, wohlwollend zu prüfen und vorurteilsfreie Entscheidungen herbeizuführen – sollte man meinen. Doch nicht in Deutschland.

In Deutschland wird jedes kulturhistorische Projekt, das zudem auf öffentliche Gelder angewiesen ist, zum brisanten Politikum. Und spätestens dann kommt er wieder zum Tragen, der alte Bekannte aus den Reihen deutschen Selbstverständnisses: das berühmt berüchtigte „Schuldgen“ - dieser zwanghafte Reflex, alles und jeden unter den Prämissen von Schuld und Sühne zu sezieren, vor der Welt unter allen Umständen als gut, edel und büßend wahrgenommen werden zu wollen. Eben das, wofür die Deutschen gerade im Ausland für verständnisloses Kopfschütteln sorgen.

Doch wie wird das dortige Kopfschütteln erst ausfallen, wenn man mit eigenen Augen gewahr wird, dass mit der Schlossfassade zwar „Preußen“ sprichwörtlich auf der Verpackung steht, im Humboldtforum selbst aber gar keine wahrhaftige kritische Würdigung des Preußischen Erbes stattfindet? Worum es einzig gehen soll, wurde während des Richtfestes im Juni 2015 gebetsmühlenartig wiederholt:

  • selbstbewusste Annäherung der Völker
  • Ideal eines friedlichen Dialogs
  • Gleichberechtigung der Weltkulturen
  • Fragen des Kolonialismus
  • Fragen der Migration
  • Feststellung, dass von Berlin aus Barbarei und Tyrannei über Europa gekommen sind

Mit keinem Satz gingen die Redner auf das Preußische Erbe ein, geschweige denn darauf, dem Publikum eine unverkrampfte vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglichen zu wollen. Doch wann und an welchem Ort könnte die Zeit reifer sein, um zum Beispiel die Aussage des längst überholten Alliiertengesetzes 46 vom 25.02.1947 ein für alle Male fundiert zu widerlegen: "Der Staat Preußen ist seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen. ..."

  • Erstmals erkannte König Friedrich Wilhelm I. die Notwendigkeit einer schlagkräftigen Armee in Folge des 30jährigen Krieges, als fremde Mächte das Land verwüstet und ausgeplündert hatten und sich neben Hunger auch Bevölkerungsschwund und Fremdbestimmung verheerend auswirkten.
  • Zwischen 1701 und 1871 war Preußen lediglich an 8 % aller geführten Kriege beteiligt, gegenüber anderen europäischen Großmächten wie Frankreich (28 %), England (23 %) oder Russland (21 %).
  • Mit seiner Betonung der Arbeit im Dienst der Gemeinschaft prägte der Pietismus die preußische Gesinnung früh. Preußen wurde so zum europäischen Vorreiter für Religions- und Glaubensfreiheit sowie außerdem zum Wegbereiter für Meinungsfreiheit. Im Jahr 1794 wurde die Religions- und Bekenntnisfreiheit auch umfassend im "Allgemeinen Landrecht für den Preußischen Staat" festgeschrieben.
  • Nachdem entsprechende Urteile de facto bereits seit 1714 nicht mehr ergangen waren, verbot Preußen 1740 als erster europäischer Staat die Ketzer- und Hexenverfolgung auch de jure. Stattdessen vertraute es auf einen hocheffizienten Verwaltungs- und Rechtsstaat.
  • Preußen kann als erster europäischer Rechtsstaat überhaupt betrachtet werden, in dem Bürger umfassende Individualrechte und Rechtssicherheit genossen. Beamte waren keine Diener des Königs oder des Kaisers, sondern des Staates. Tiefgreifend wirkten die Bürgerrechte auch im Deutschen Kaiserreich. Presse- und Informationsfreiheit galten als ein wesentliches Gut und wurden mit dem Pressegesetz von 1874 fest verankert. Als am 01. Januar 1900 das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft trat, wurde dieses von annähernd 50 Ländern ganz oder teilweise übernommen. In Kombination mit einem hervorragenden preußisch geprägten Bildungssystem, welches auf eine Leistungselite und nicht auf eine Standeselite abzielte, konnte der noch junge deutsche Nationalstaat nach 1871 in nur 30 Jahren die weltweite Führungsposition in Wirtschaft, Forschung und Bildung einnehmen.

Weshalb sollen den späteren Besuchern des Humboldtforums Tatsachen wie diese vorenthalten werden? Weshalb will man der umfassenden preußisch-deutschen Geschichte dort keinen wohlverdienten Raum einräumen? - Die zahllosen Exponate aus den Sammlungen der staatlichen Museen zu Berlin allein können wohl kaum die Ursache sein. Nein, wieder einmal werden es ideologische Engstirnigkeit und kurzsichtiger Zeitgeist sein, die bestimmend sind. Dass das Humboldtforum ohne preußische Seele bleibt, war vermutlich der Preis für das politische Zugeständnis eines Wiederaufbaus zumindest der historischen Hülle.

Schade, sehr gerne möchte ich die einstige preußische Residenz als Gastgeberin für Weltkunst und Weltkulturen erleben. Doch die Freude darüber wird verhalten bleiben und hinter der Enttäuschung zurückstehen, angesichts der zur Schau gestellten Ignoranz gegenüber den eigenen geschichtlichen Wurzeln.

Andreas Reinhardt / Beitrag v. 27.12.2015

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